Trachten im Gepäck

Ich war erstaunt, hatte ich doch nur auf Verdacht 2012 in Zusammenarbeit mit den Lübecker Nachrichten einen Artikel zu den Trachten unseres Museums geplant und mit dem Aufruf verbunden, dass mögliche Besitzer Mecklenburgischer Trachten sich an uns wenden können. Die Vermutung, dass Menschen, die die ehemalige DDR verlassen hatten, sich Erinnerungen bewahren wollten, schien nicht unbegründet. Vielfach organisierten sich Mecklenburger wie andere Bevölkerungsgruppen mit verlorenem territorialen Bezug in Organisationen, die Mecklenburger eben in der Landsmannschaft Mecklenburg. Fotografien von den Treffen der Landsmannschaft in Ratzeburg zeigten häufig genug Frauen und Männer in traditioneller Kleidung oder in solcher, die den Trachten angelehnt waren. Zum anderen war Lübeck von jeher Ort des kulturellen Austausches vom ländlichen zum bürgerlichen Metier und umgekehrt. Es gab also Hoffnung, dass wir mit diesem Presseaufruf Sammlungslücken der über einhundertjährigen Schönberger Sammlung ergänzen konnten.
 

Familie Lüttjohann I Volkskundemuseum Schönberg
Familie Lüttjohann I Volkskundemuseum Schönberg

 

Die erwähnten Trachtenteile stammen alle aus dem 19. Jahrhundert und wurden von der Trägerin aus dem Ort Groß Rünz bis um 1920 getragen. Im weiteren Gespräch wurden mehrere Ebenen von ethnologischem Interesse angestoßen, die so im Bereich der „oral history“ – der erzählten Geschichte – sehr selten sind. Zum einen war die Trägerin der Tracht, Magdalene Lütjohann, eine der Personen, die zu Lebzeiten die Tracht ablegten, das heißt, dass sie sich von dem traditionellen Bekleidungsverhalten abkehrten. Zum Zweiten wurde aber deutlich, dass die Tracht als solches weiterhin geschätzt wurde und ihren Wert keineswegs verlor. Die Enkeltochter, also die Beiträgerin, berichtete, dass die Tracht in Gesprächen mit der Großmutter durchaus ein wichtiges Thema war. „Grotmudder, wenniehr treckst Du dat denn an?“, als Antwort bekamen die Kinder „Wenn ick nah Hamborg führ!“ – „Öwer Se feuern ich nah Hamborg!“ Diese etwas spielerische erzählweise verdeutlicht in Plattdeutscher Sprache sehr gut die Reichweite des Kontextes über den Zeitpunkt des Tragens von Tracht hinaus.

Zum Dritten ist der Umstand, dass die Trachtenteile vor dem Fall der Mauer im Handgepäck in den Besitz der Enkeltochter in Lübeck gelangten, ein Beleg der deutsch-deutschen Teilung, der für unsere Sammlung einen einzigartigen Beleg der Erinnerungskultur bietet.

Die Musealisierung von Objektgruppen beginnt meist mit der Außergebrauchstellung von Dingen, nämlich dann, wenn sie ihrem Besitzer keinen Nutzen mehr bringen, sei es, dass sie technisch veraltet sind oder sie ihren Charme verloren haben, bzw. der Besitzer sie in besseren Händen wissen möchte. Noch sind es die Museen mit ihren Sammlungen, die dann in diese Aufgabe des Bewahrens eintreten. Ob wir nun in der Müllphase sammeln oder gezielt nach geschichtlichen oder kulturhistorischen Interessen, wir möchten damit den Besuchern – und das schließt auch zukünftige noch nicht erschlossene Besuchergruppen ein – Zugänge in die Vergangenheit aufschließen oder Verbindungen zu aktuellen Ereignissen aufzeigen. Freiwillig und ohne Zwang, aber meist doch mit Freude.

Am besten gelingt dies durch Objekte mit Geschichte, wie eben mit den Trachtenteilen von Magdalene Lüttjohann. Die Dauerausstellung des Volkskundemuseums in Schönberg zeigt mit solchen Geschichten Bezüge zu den Objekten auf, die weit über die Schönheit des Objektes hinausreichen. Dennoch sind eine Vielzahl an Ausstellungstücken auch ohne den Kontext schön anzusehen und in modernem aber zurückhaltendem Design dargestellt.

 

Abb. oben: Catharina Magdalena Lüttjohann, geb. Robrahn, geb. 1850, und ihr Ehemann, der Maurer Lüttjohann, Groß Rünz, um 1910. Nach dem Tod des Mannes legte die Frau die Tracht ab. Privatfotografie, Lübeck.

Abb. vorherige Seite: Brusttuch der Rehnaer Tracht aus dem Nachlass von Magdalena Lüttjohann aus Groß Rünz, Seide und Chenille mit Glasperlen, um 1870. Schenkung 2012, Volkskundemuseum Schönberg.

Olaf Both, Leiter Volkskundemuseum Schönberg

 


Informationen

Im Volkskundemuseum Schönberg erhalten Sie weitere Informationen zum Thema Trachten.

www.museumschoenberg.de

Öffnungszeiten

Dienstag bis Donnestag: 11:00 – 17:00 Uhr
Samstag: 13:00 – 17:00 Uhr

oder nach Vereinbarung

Kontakt

Volkskundemuseum Schönberg
Am Markt 1
2392 Schönberg
Telefon: 03 88 28 / 34 89 93
museumrz@aol.com

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